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Weiterhin hoher Forschungsbedarf bei MS
Trotz aller Fortschritte in der MS-Diagnostik und -Therapie sind noch viele Fragen offen, an denen ausgiebig geforscht wird. Der Stand der Forschung wurde bei der MScience. MShift. Fortbildungsveranstaltung diskutiert.
Es gibt keine benigne MS
Ein Bericht zum Vortrag von Professor Dr. Patricia K. Coyle aus Stony Brook/USA
Diagnostik & Verlaufskontrolle
Über den Ausschluss anderer Erkrankungen, Laboruntersuchungen und McDonald-Kriterien
Therapien
Über die Findung einer geeigneteren MS-Therapie während eines Schubs und zur langfristigen Behandlung
MS Aktuell
Zu den aktuellen Diskussionen und Forschungsergebnissen aus dem Bereich Neurologie und Multiple Sklerose
Übergang zur sekundär progredienten Multiplen Sklerose: Muss das sein?
Ein wichtiges Ziel der Behandlung einer schubförmig-remittierenden Multiplen Sklerose (RRMS) ist es, den Übergang in eine sekundär progrediente MS (SPMS) möglichst zu verhindern. Die Behandlung wird daher üblicherweise eskaliert, wenn es nach Phasen der Krankheitskontrolle erneut zu Krankheitsaktivität kommt. Die Unterteilung der MS in drei Formen der Erkrankung, eine RRMS, eine SPMS sowie eine primär progrediente MS (PPMS), ist nach Professor Dr. Dr. Sven Meuth, Münster, nicht unbedingt sinnvoll. Für die Therapiewahl ist vielmehr entscheidend, ob eine schubförmige oder eine progredient verlaufende MS vorliegt, jeweils mit oder ohne Aktivität, berichtete der Neurologe bei der ärztlichen Fortbildungsveranstaltung MScience. MShift. in Hamburg.1 „Wir müssen wegkommen von der Idee, dass die MS zwangsläufig in bestimmten Phasen verläuft vom klinisch isolierten Syndrom über die schubförmige Form bis zur SPMS“, erklärte Professor Meuth.
Den genetischen Hintergrund verstehen
Der Verlauf als schubförmige oder progrediente Krankheitsform ist zudem abhängig vom genetischen Hintergrund, wie der Neurologe darlegte: „Bei der PPMS sind beispielsweise andere Gene aktiviert als bei der schubförmigen MS. Bei der SPMS finden sich hingegen genetische Aspekte von beiden anderen Verlaufsformen“.1
Auch die Immunpathophysiologie spricht für eine Unterteilung in einen schubförmigen und einen progredienten Verlauf jeweils mit oder ohne Krankheitsaktivität. Es kommt bei der schubförmigen MS zu einer Aktivierung von Tund auch von B-Zellen, die über die Blut-Hirn-Schranke ins ZNS einwandern und dort reaktiviert werden. „Anders als bei den frühen Krankheitsformen spielt die Musik bei den fortgeschrittenen, progredienten Formen somit hinter der Blut-Hirn-Schranke“, berichtete Professor Meuth. Das erklärt nach seinen Worten, warum die progredienten Formen oft weniger gut therapeutisch zu beeinflussen sind, da die Entzündungsprozesse dann hauptsächlich hinter der Blut- Hirn-Schranke ablaufen. „Es gibt bei der MS eine Kompartimentalisierung, die Entzündungsaktivität schwappt quasi von der Peripherie ins ZNS“, so Meuth. Eine gute Wirksamkeit ist bei der progredienten MS somit primär von Wirkstoffen zu erwarten, die ihre klinische Wirkung auch hinter der Blut-Hirn-Schranke im ZNS entfalten.
Vorgealterte Stammzellen durch repetitive Entzündungen
Im Verlauf der Erkrankung ändert sich außerdem das Repertoire der Entzündungszellen, die sich letztlich aus hämatopoetischen Stammzellen entwickeln. Sie unterliegen den normalen Alterungsprozessen und erfahren bei repetitiven Entzündungen wie sie für die MS typisch sind, außerdem eine gewisse Voralterung. Die Konsequenz: „Patienten mit vielen Krankheitsschüben sind im Sinne des Inflammationskonzepts praktisch älter als Patienten mit nur wenigen Schüben“, sagte Meuth in Hamburg. Die vorgealterten Stammzellen generieren ein etwas anderes Spektrum an Entzündungszellen mit vermehrtem Auftreten von Makrophagen und Monozyten bei den progredienten Verlaufsformen. Das sollte nach Meuth bei der Therapie berücksichtigt werden: „Wir sollten nicht allein auf T-und B-Zellen zielen, sondern verstärkt auch auf Makrophagen und Monozyten“.
Den Übergang in die chronische Entzündung hemmen
Im Krankheitsverlauf nimmt somit die akute Entzündungsaktivität ab, während sich zugleich chronische Entzündungsprozesse verstärken.2,3 Es kommt laut Meuth quasi zu einer anhaltenden, glimmenden Entzündung. Das erklärt unter anderem, warum ältere MS-Patienten im Allgemeinen weniger Schübe entwickeln, aber oft eine zunehmende Behinderungsprogression zu sehen ist. Das Alter des Patienten scheint somit maßgeblich auch den MS-Phänotyp zu determinieren.4 Diese Prozesse – also den Übergang von den akuten in die chronischen Entzündungsprozesse – zu unterbinden und so die Krankheitsprogression zu hemmen, ist nach Meuth ein relevantes Therapieziel.
Im Einzelnen geht es folglich darum, bereits frühzeitig das Auftreten repetitiver Schübe zu verhindern, um so die Voralterung der Stammzellen, die Verschiebung des Entzündungszell-Repertoires und damit auch den Übergang in eine chronische Verlaufsform abzuwenden. Hat sich bereits ein progredienter Verlaufstyp entwickelt, so ist die übliche MS-Medikation nicht mehr so gut wirksam wie bei den früheren Krankheitsphasen. 5
Doch auch wenn die Entwicklung weitgehend mit dem Alter des Patienten korreliert und die Schubrate mit zunehmendem Alter im Allgemeinen abnimmt, bedeutet das nicht, dass nicht auch ältere Patienten eine akute Krankheitsaktivität aufweisen können. Dazu Meuth: „Wir dürfen deshalb keinesfalls den Patienten allein aufgrund ihres Alters eine effektive MS-Therapie vorenthalten, sondern müssen uns bei der Therapieentscheidung am individuellen Phänotyp der MS und an der jeweiligen Krankheitsaktivität orientieren“.
Veranstaltung MScience. MShift. am 15.-16. November 2019 in Hamburg
Zusammenfassung
Die Differenzierung der Multiplen Sklerose in RRMS, SPMS und PPMS ist überholt. Sinnvoll erscheint es hingegen zu unterscheiden, ob eine schubförmige MS oder eine progredient verlaufende MS vorliegt. Bei beiden Krankheitsformen ist die Behandlung daran zu orientieren, ob jeweils Krankheitsaktivität zu verzeichnen ist oder nicht. Die Therapie zielt darauf ab, möglichst die Freiheit von Krankheitsaktivität zu erwirken und so den weiteren Verlauf vom schubförmigen zum progredienten Phänotyp zu verhindern.
Apropos
Ein wichtiges Behandlungsziel bei der MS ist die Freiheit von Krankheitsaktivität, kurz NEDA (No Evidence of Disease Activity). Ob dieses Ziel erreicht ist, wird anhand der NEDA-Kriterien ermittelt. Dabei ist NEDA-3 definiert als das Fehlen von Schüben, Fehlen von Behinderungsprogression und Fehlen von neuen oder sich vergrößernden T2- Läsionen sowie Gadolinium-anreichernden (Gd+)-T1-Läsionen im MRT. Das NEDA-Konzept wurde inzwischen erweitert, wobei für NEDA-4 zusätzlich das Fehlen einer pathologischen Hirnatrophie und kognitiver Dysfunktion gefordert wird.6
Referenzen
- Ratzer R et al., Mult Scler J 2013; 19 (14): 1841-1848
- Rice CM et al., J Neurol Neurosurg Psychiatry 2013; 84: 1100-1106
- Schumacher AM et al., Neurol Int Open 2017; 1: E171–181
- Scalfari A et al., Mult Scler 2016; 22 (13): 1750-1758
- Weideman AM et al., Front Neurol 2017, doi: 10.3389/fneur.2017.00577.eCollection 2017
- Pandit L, Ann Indian Acad Neurol. 2019 Jul-Sep; 22(3): 261–263, doi: 10.4103/aian.AIAN_159_19
GZDE.MS.20.01.0058

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